Studie zu Datenmanagement

Integration: Beteiligte in Kommunen sollten stärker kooperieren

Integration könnte effektiver ablaufen, wenn die beteiligten Stellen stärker kooperieren und Daten teilen würden, zeigt eine Studie der Universität Hildesheim und der Robert Bosch Stiftung. Gleichzeitig muss die informationelle Selbstbestimmung der Zugewanderten gewahrt bleiben, sagen die Politikwissenschaftlerin Danielle Gluns und der Verwaltungsexperte Boris Kühn, die die Studie erarbeitet haben.

Text
Tobias Moorstedt
Bilder
dpa/Picture Alliance, Laif, Robert Bosch Stiftung, privat
Datum
10. März 2022

Warum sind Fragen nach Datenschutz und Datenmanagement in der Integrationsarbeit besonders drängend?

Boris Kühn: Ein schönes Bonmot eines Kollegen lautet: Die Menschen wandern mit ihrem gesamten Leben aus – und treffen in Deutschland auf die entsprechenden Institutionen und Behörden. Deshalb ist Integration eine Querschnittsaufgabe. Zugewanderte haben viel mehr Behördenkontakt als Menschen ohne Migrationsgeschichte. Damit ist der Integrationsbereich oft ein Brennglas für Sachverhalte, die im Prinzip alle betreffen – wie der Datenaustausch zwischen Behörden. Und weil Menschen, die neu nach Deutschland kommen, die komplexen bürokratischen Prozesse in der Regel schon rein sprachlich nicht verstehen, ist es besonders schwierig, aber auch besonders wichtig, ihre informationelle Selbstbestimmung zu stärken.  

Es gibt ja nicht die eine Integrationsbehörde, sondern viele verschiedene Stellen, die an diesem Prozess beteiligt sind.

Kühn: Genau: Da sind bundesfinanzierte Einrichtungen, Beratungsstellen der Länder und kommunales Fallmanagement. Dazu kommen die Jobcenter und zivilgesellschaftliche Akteur:innen. Ausgangspunkt unseres Forschungsprojekts war die Tatsache, dass an vielen dieser Stellen die Lebenslage der Zugewanderten und sensible Daten neu erfasst werden: Wie heißen Sie? Wo kommen Sie her? Zeigen Sie mir mal Ihre Ausweispapiere, sind die auch aktuell?

Danielle Gluns: Die reine Mehrfacherfassung wurde sowohl von Verwaltungsmitarbeitenden als auch von Zugewanderten als nervig und ineffizient beschrieben. Dramatischer sind aber die Folgewirkungen, wenn zum Beispiel irgendwo fehlerhafte Daten hinterlegt sind und die Betroffenen entweder gar keine Kenntnis davon haben oder man sie nicht korrigieren kann, weil jede Institution ihr eigenes System hat und es keine technischen Schnittstellen gibt. Außerdem kann es sein, dass unterschiedliche Beratungseinrichtungen mit denselben Personen in unterschiedliche Richtungen laufen: wenn die Jobcenter zum Beispiel eine schnelle Arbeitsaufnahme priorisieren, während von anderer Seite der Fokus auf Sprachkurse gelegt wird. 

Infobox

„Vernetzte Daten, vernetzte Behörden?“

Zur Studie

Ziel der Studie ist es, einen Einblick in die kommunale Praxis des Datenmanagements in der Integrationsarbeit zu geben sowie Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten zu identifizieren. Es konnten Schnittstellen ermittelt werden, an denen ein verknüpftes Datenmanagement Erleichterungen für Zugewanderte und Behörden gleichermaßen schaffen könnte. Die Studie hebt zugleich die Datenschutzrechte und Interessen der Zugewanderten hervor, die bestimmten Formen des Datenaustauschs entgegenstehen und die – mit Blick auf die gängige Praxis – gestärkt werden sollten.

Zur Studie

Das Interessante an Ihrer Studie ist, dass sie die Perspektive der Verwaltung mit der Perspektive der Nutzer:innen, also der Zugewanderten, kombiniert. Wie sind Sie genau vorgegangen? 

Gluns: Am Anfang stand die Annahme, dass es in Deutschland bereits innovative Lösungen für zeitgemäßes Datenmanagement im Integrationsbereich gibt. Um uns einen Überblick zu verschaffen, haben wir unter anderem den Verteiler der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration genutzt, um deutschlandweit danach zu suchen. Die Rückmeldungen haben uns überrascht, weil weniger über Lösungen berichtet wurde als über Probleme und gescheiterte Projekte. Deshalb haben wir viele Hintergrundgespräche und Leitfadeninterviews mit Mitarbeitenden von Verwaltungen und Beratungsstellen sowie mit Zugewanderten geführt, um die wichtigsten Stolpersteine zu identifizieren und dann gemeinsam mit Datenschutzexpert:innen Ideen zu entwickeln, wie der nächste Schritt gelingen könnte. 

Sehen Sie hier Parallelen zur Pandemiebekämpfung seit 2020, bei der unser altmodischer Verwaltungsapparat oft ineffizient wirkt? Stichwort: Faxgeräte in Gesundheitsämtern.

Kühn: Also ich bin im Hauptberuf ja selbst in der Verwaltung tätig und kenne keine Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Faxgerät arbeiten. Die Digitalisierung geht schon voran, insofern hat man im Integrationsbereich eher mit der Versäulung des Systems zu kämpfen – also damit, dass verschiedene Institutionen sich nicht oder kaum austauschen. Und das verkompliziert dann auch die Datenerfassung, das Datenmanagement und den Umgang mit dem Datenschutz.

Könnte man Dinge vereinfachen, wenn man eine zentrale Datenbank für Integrationsbelange einrichten würde? 

Kühn: Da gibt es natürlich ein Für und Wider. Wir sind in der Studie zum Schluss gekommen, dass so etwas nicht wünschenswert ist – und das wurde auch tatsächlich von vielen Praktiker:innen bestätigt, die sagen: Wir wollen als Verwaltung keinen „gläsernen Migranten“. 


Gluns: Mit dem Ausländerzentralregister gibt es ja ein deutschlandweites Register, in dem fast alle Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit erfasst sind. Und darauf können die unterschiedlichsten Institutionen wie Polizeibehörden und Ausländerbehörden, aber auch andere Stellen automatisiert zugreifen. Das Ergebnis unserer Studie ist es, dass ein zentrales Register für den Integrationsbereich mit sensiblen Daten, die oft eher einen sozialarbeiterischen Nutzen haben, nicht zielführend ist. Also ich möchte auch nicht, dass meine Gesundheitsdaten, meine Bankdaten, meine Meldedaten und so weiter alle an der gleichen Stelle liegen und es Personen gibt, die einfach alles über mich wissen. Und die Zugewanderten wollen das sicher auch nicht. 

Nummernanzeige in einer deutschen Behörde
Deutsche Behörden bedeuten für viele Zugewanderte vor allem: Warten und dann die immer gleichen Nachweise für neue Formulare einreichen.

In der Studie schreiben Sie, dass der „Geist des Datenschutzes“ mehr gewürdigt werden sollte. Was bedeutet das genau?

Kühn: Datenschutz wird zu oft nur formalbürokratisch umgesetzt. Man holt Unterschriften ein, aber das System der Datenerfassung und die behördlichen Strukturen insgesamt sind für viele Zugewanderte undurchsichtig. Zum Beispiel wusste keiner unserer Interviewten, dass es das Ausländerzentralregister überhaupt gibt. Und wer nicht weiß, dass es eine Datenbank gibt, kann sich auch nicht mit der Richtigkeit der Daten und seinen Kontrollrechten beschäftigen. 

Gluns: Jeder klickt ja ständig irgendwas im Netz an oder unterschreibt Einwilligungen, ohne sich alles über den Umfang der Datenerhebungen und eine eventuelle Weitergabe durchzulesen. In gewisser Weise ist es also ein allgemeines Problem mit dem Datenschutz. Aber in der Integrationsarbeit sorgt die Sprachhürde noch mal für besondere Herausforderungen. Oft gehen Zugewanderte im Kontakt mit Behörden auch gar nicht davon aus, dass sie eine Wahl haben, ein Papier zu unterschreiben – oder nicht. 

Datenerfassung

Hohe Komplexität

Diese Grafik zeigt, mit wie vielen unterschiedlichen Stellen Zugewanderte in Deutschland in Kontakt kommen.

Einrichtungen, die regelmäßig Daten von Zugewanderten erfassen
Vollbildmodus

In Ihrer Studie empfehlen Sie unter anderem mehrsprachige Formulare und standardisierte Prozesse, die für die Kommunen von übergeordneter Stelle erstellt werden. Gibt es auch Lösungsansätze, die mehr auf digitale Technologien setzen?

Gluns: Die eigentlichen Probleme liegen oft nicht in fehlenden Technologien. In der Studie stellen wir vor, wie eine deutsche Kommune die Sprachkurszulassungen mit einer cloudbasierten Lösung regelt, damit man Dokumente wie Bescheinigungen dort nicht mehr händisch transportieren muss und verschiedene Akteur:innen darauf zugreifen können. Die Einführung dieses Systems war zeitraubend und aufwendig, weil verschiedene Stellen ins Boot geholt werden mussten. Und der zuständige Mitarbeiter hat uns auch gesagt, das Ganze laufe nur deswegen, weil er die Beteiligten immer wieder erinnere: Bitte nutzt die Cloud. 

Kühn: Das ist technisch nicht wahnsinnig innovativ. Aber von allen befragten Kommunen gab es nur eine einzige, die so ein Modell nutzt. Die Innovation besteht tatsächlich darin, dass sich Verwaltungseinheiten aus ihrem Silo hinausbegeben und nach einer gemeinsamen Lösung suchen. 

„Wenn jede Behörde auf eine eigene Datenbank besteht, dann wird es schwierig.“

Zitat vonDanielle Gluns, Politikwissenschaftlerin
Zitat vonDanielle Gluns, Politikwissenschaftlerin

Wir haben es also weniger mit technischen Herausforderungen zu tun, sondern müssen über die Verwaltungsstrukturen nachdenken? 

Gluns: Viele Informatiker:innen würden sagen, dass sich die technischen Fragen alle lösen lassen. Wenn aber jede Behörde auf eine eigene Datenbank besteht und es juristische Hürden gibt, Zugriffsrechte für externe Stellen einzurichten, dann wird es schwierig. Wir haben festgestellt, dass technische Projekte oft auch ein Hinweis darauf sind, dass die zugrunde liegenden Strukturen in Teilen überkomplex sind. 

Kühn: Im Integrationsbereich sollte man Prozesse stets ganzheitlich betrachten: Wo entsteht Mehraufwand und wo Nutzen? Für die Verwaltung, für externe Beratungsstellen, die oft steuerfinanziert sind, für Zugewanderte. Es geht um ein sogenanntes breites Verständnis von Digitalisierung: also nicht um die Ein-zu-eins-Übertragung von Abläufen, die vielleicht ineffizient oder intransparent sind, ins Digitale, sondern um eine Vollzugskritik von Abläufen, die dann für ein neues Zeitalter angepasst werden. Und an diesem Punkt gehen die Bedürfnisse des Querschnittsthemas Integration mit dem Konzept einer breiten Digitalisierungsidee Hand in Hand. 

Drei konkrete Lösungsvorschläge aus der Studie „Vernetzte Daten, vernetzte Behörden?“:

Viele Zugewanderte kennen spezifische Beratungsangebote gar nicht oder erfahren erst spät von diesen Angeboten. Eine Option für die Kontaktaufnahme wäre, alle Neuzugewanderten postalisch anzuschreiben. Aber es besteht Unsicherheit darüber, ob diese unaufgeforderte Zusendung des Angebots datenschutzrechtlich zulässig ist. Wenn ein flächendeckendes Beratungsangebot für Neuzugewanderte ein integrationspolitisches Ziel ist, sollte auch die Möglichkeit zur (postalischen) Kontaktaufnahme gesetzlich verankert werden. Wichtig wäre, die Einladungen in der jeweiligen Herkunftssprache zu formulieren.

Einen Schritt weiter gehen Überlegungen, wie ein Erstkontakt über Messenger-Dienste, Sprachnachrichten oder Social Media als niedrigschwellige und persönliche Kontaktoption aussehen könnte. Für diese Formen der Kontaktaufnahme wäre eine Datenabfrage bei der Ausländerbehörde ohne Einwilligung der Zugewanderten datenschutzrechtlich nicht einwandfrei. Als Mittlerin kommt hier am ehesten die Meldebehörde in Betracht: Dort werden alle vorstellig, und es könnte abgefragt werden, ob und welche Formen der Kontaktaufnahme gewünscht sind. 

Datenmanagement und Datenverknüpfung werden vor allem dort zu einem sichtbaren Thema, wo ein kommunales Fallmanagement hinzukommt und damit eine weitere Zuständigkeit entsteht. Wenn jede Kommune eine eigene Datenbank pflegt, bedeutet ein Umzug (oder bei Geflüchteten auch eine Verlegung von einer Unterkunft in eine andere) einen kompletten Neustart in der Begleitung und eine Neuerfassung aller Informationen, nicht selten auch den Verlust von Daten.

Ein gemeinsames Dokumentationssystem für alle landesgeförderten Beratungs-/Fallmanagementstellen böte dagegen die Möglichkeit, alle Daten mitzunehmen und nahtlos an die Beratung anzuknüpfen. Auch hier zeigte sich, dass viele Ressourcen gespart werden könnten, wenn von Landesseite eine Software zur Dokumentation zur Verfügung stünde. Wichtig wäre aber vor allem bei der Weitergabe sensibler Daten oder sozialarbeiterischer Einschätzungen, dass es sich um eine freiwillige Entscheidung der Zugewanderten handeln sollte, ob sie ihre Falldokumentation am neuen Wohnort freigeben möchten oder nicht.

Jobcenter, Migrationsberatungen und kommunale Stellen arbeiten teils mit denselben Personen zu ähnlichen Themen, wenngleich sich ihr gesetzlicher Auftrag und ihr Selbstverständnis deutlich unterscheiden. In allen Einrichtungen werden nicht nur ähnliche Daten erfasst, sondern auch Kompetenzfeststellungen durchgeführt und Lebensläufe erarbeitet. Auch wenn eine einheitliche Datenbank nicht wünschenswert ist (siehe oben), sollten eventuell widersprüchliche Mehrfachberatungen vermieden werden. Die Qualität der Zusammenarbeit hängt bislang aber zu oft von den beteiligten Personen ab.


Damit Kooperationen wirklich entstehen und nachhaltig gelebt werden, braucht es wohl eine Verankerung auf allen relevanten Ebenen: Auf Bundes- oder Landesebene sollte der gesetzliche und strukturelle Rahmen für eine wirkungsvolle Zusammenarbeit verpflichtend gelegt werden. Diese sollte auf kommunaler Ebene konkretisiert werden, zum Beispiel im Integrationskonzept. Im Alltag braucht es dann einen Regelaustausch auf allen Hierarchieebenen bis hin zu den Sachbearbeitenden. Eine dadurch entstehende Vertrauensbasis ist auch die Grundlage, um einen Datenaustausch zu etablieren.

Boris Kühn

Der Verwaltungsexperte ist im Hauptberuf Integrationsbeauftragter der Stadt Mössingen in Baden-Württemberg und Hauptautor der Studie.

Dr. Danielle Gluns

Die Politikwissenschaftlerin leitet die Forschungs- und Transferstelle Migrationspolitik am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim. Sie will den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis im Bereich der Migrationspolitik fördern.