Integration könnte effektiver ablaufen, wenn die beteiligten Stellen stärker kooperieren und Daten teilen würden, zeigt eine Studie der Universität Hildesheim und der Robert Bosch Stiftung. Gleichzeitig muss die informationelle Selbstbestimmung der Zugewanderten gewahrt bleiben, sagen die Politikwissenschaftlerin Danielle Gluns und der Verwaltungsexperte Boris Kühn, die die Studie erarbeitet haben.
Boris Kühn: Ein schönes Bonmot eines Kollegen lautet: Die Menschen wandern mit ihrem gesamten Leben aus – und treffen in Deutschland auf die entsprechenden Institutionen und Behörden. Deshalb ist Integration eine Querschnittsaufgabe. Zugewanderte haben viel mehr Behördenkontakt als Menschen ohne Migrationsgeschichte. Damit ist der Integrationsbereich oft ein Brennglas für Sachverhalte, die im Prinzip alle betreffen – wie der Datenaustausch zwischen Behörden. Und weil Menschen, die neu nach Deutschland kommen, die komplexen bürokratischen Prozesse in der Regel schon rein sprachlich nicht verstehen, ist es besonders schwierig, aber auch besonders wichtig, ihre informationelle Selbstbestimmung zu stärken.
Kühn: Genau: Da sind bundesfinanzierte Einrichtungen, Beratungsstellen der Länder und kommunales Fallmanagement. Dazu kommen die Jobcenter und zivilgesellschaftliche Akteur:innen. Ausgangspunkt unseres Forschungsprojekts war die Tatsache, dass an vielen dieser Stellen die Lebenslage der Zugewanderten und sensible Daten neu erfasst werden: Wie heißen Sie? Wo kommen Sie her? Zeigen Sie mir mal Ihre Ausweispapiere, sind die auch aktuell?
Danielle Gluns: Die reine Mehrfacherfassung wurde sowohl von Verwaltungsmitarbeitenden als auch von Zugewanderten als nervig und ineffizient beschrieben. Dramatischer sind aber die Folgewirkungen, wenn zum Beispiel irgendwo fehlerhafte Daten hinterlegt sind und die Betroffenen entweder gar keine Kenntnis davon haben oder man sie nicht korrigieren kann, weil jede Institution ihr eigenes System hat und es keine technischen Schnittstellen gibt. Außerdem kann es sein, dass unterschiedliche Beratungseinrichtungen mit denselben Personen in unterschiedliche Richtungen laufen: wenn die Jobcenter zum Beispiel eine schnelle Arbeitsaufnahme priorisieren, während von anderer Seite der Fokus auf Sprachkurse gelegt wird.
Ziel der Studie ist es, einen Einblick in die kommunale Praxis des Datenmanagements in der Integrationsarbeit zu geben sowie Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten zu identifizieren. Es konnten Schnittstellen ermittelt werden, an denen ein verknüpftes Datenmanagement Erleichterungen für Zugewanderte und Behörden gleichermaßen schaffen könnte. Die Studie hebt zugleich die Datenschutzrechte und Interessen der Zugewanderten hervor, die bestimmten Formen des Datenaustauschs entgegenstehen und die – mit Blick auf die gängige Praxis – gestärkt werden sollten.
Gluns: Am Anfang stand die Annahme, dass es in Deutschland bereits innovative Lösungen für zeitgemäßes Datenmanagement im Integrationsbereich gibt. Um uns einen Überblick zu verschaffen, haben wir unter anderem den Verteiler der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration genutzt, um deutschlandweit danach zu suchen. Die Rückmeldungen haben uns überrascht, weil weniger über Lösungen berichtet wurde als über Probleme und gescheiterte Projekte. Deshalb haben wir viele Hintergrundgespräche und Leitfadeninterviews mit Mitarbeitenden von Verwaltungen und Beratungsstellen sowie mit Zugewanderten geführt, um die wichtigsten Stolpersteine zu identifizieren und dann gemeinsam mit Datenschutzexpert:innen Ideen zu entwickeln, wie der nächste Schritt gelingen könnte.
Kühn: Also ich bin im Hauptberuf ja selbst in der Verwaltung tätig und kenne keine Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Faxgerät arbeiten. Die Digitalisierung geht schon voran, insofern hat man im Integrationsbereich eher mit der Versäulung des Systems zu kämpfen – also damit, dass verschiedene Institutionen sich nicht oder kaum austauschen. Und das verkompliziert dann auch die Datenerfassung, das Datenmanagement und den Umgang mit dem Datenschutz.
Kühn: Da gibt es natürlich ein Für und Wider. Wir sind in der Studie zum Schluss gekommen, dass so etwas nicht wünschenswert ist – und das wurde auch tatsächlich von vielen Praktiker:innen bestätigt, die sagen: Wir wollen als Verwaltung keinen „gläsernen Migranten“.
Gluns: Mit dem Ausländerzentralregister gibt es ja ein deutschlandweites Register, in dem fast alle Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit erfasst sind. Und darauf können die unterschiedlichsten Institutionen wie Polizeibehörden und Ausländerbehörden, aber auch andere Stellen automatisiert zugreifen. Das Ergebnis unserer Studie ist es, dass ein zentrales Register für den Integrationsbereich mit sensiblen Daten, die oft eher einen sozialarbeiterischen Nutzen haben, nicht zielführend ist. Also ich möchte auch nicht, dass meine Gesundheitsdaten, meine Bankdaten, meine Meldedaten und so weiter alle an der gleichen Stelle liegen und es Personen gibt, die einfach alles über mich wissen. Und die Zugewanderten wollen das sicher auch nicht.
Kühn: Datenschutz wird zu oft nur formalbürokratisch umgesetzt. Man holt Unterschriften ein, aber das System der Datenerfassung und die behördlichen Strukturen insgesamt sind für viele Zugewanderte undurchsichtig. Zum Beispiel wusste keiner unserer Interviewten, dass es das Ausländerzentralregister überhaupt gibt. Und wer nicht weiß, dass es eine Datenbank gibt, kann sich auch nicht mit der Richtigkeit der Daten und seinen Kontrollrechten beschäftigen.
Gluns: Jeder klickt ja ständig irgendwas im Netz an oder unterschreibt Einwilligungen, ohne sich alles über den Umfang der Datenerhebungen und eine eventuelle Weitergabe durchzulesen. In gewisser Weise ist es also ein allgemeines Problem mit dem Datenschutz. Aber in der Integrationsarbeit sorgt die Sprachhürde noch mal für besondere Herausforderungen. Oft gehen Zugewanderte im Kontakt mit Behörden auch gar nicht davon aus, dass sie eine Wahl haben, ein Papier zu unterschreiben – oder nicht.
Diese Grafik zeigt, mit wie vielen unterschiedlichen Stellen Zugewanderte in Deutschland in Kontakt kommen.
Gluns: Die eigentlichen Probleme liegen oft nicht in fehlenden Technologien. In der Studie stellen wir vor, wie eine deutsche Kommune die Sprachkurszulassungen mit einer cloudbasierten Lösung regelt, damit man Dokumente wie Bescheinigungen dort nicht mehr händisch transportieren muss und verschiedene Akteur:innen darauf zugreifen können. Die Einführung dieses Systems war zeitraubend und aufwendig, weil verschiedene Stellen ins Boot geholt werden mussten. Und der zuständige Mitarbeiter hat uns auch gesagt, das Ganze laufe nur deswegen, weil er die Beteiligten immer wieder erinnere: Bitte nutzt die Cloud.
Kühn: Das ist technisch nicht wahnsinnig innovativ. Aber von allen befragten Kommunen gab es nur eine einzige, die so ein Modell nutzt. Die Innovation besteht tatsächlich darin, dass sich Verwaltungseinheiten aus ihrem Silo hinausbegeben und nach einer gemeinsamen Lösung suchen.
„Wenn jede Behörde auf eine eigene Datenbank besteht, dann wird es schwierig.“
Gluns: Viele Informatiker:innen würden sagen, dass sich die technischen Fragen alle lösen lassen. Wenn aber jede Behörde auf eine eigene Datenbank besteht und es juristische Hürden gibt, Zugriffsrechte für externe Stellen einzurichten, dann wird es schwierig. Wir haben festgestellt, dass technische Projekte oft auch ein Hinweis darauf sind, dass die zugrunde liegenden Strukturen in Teilen überkomplex sind.
Kühn: Im Integrationsbereich sollte man Prozesse stets ganzheitlich betrachten: Wo entsteht Mehraufwand und wo Nutzen? Für die Verwaltung, für externe Beratungsstellen, die oft steuerfinanziert sind, für Zugewanderte. Es geht um ein sogenanntes breites Verständnis von Digitalisierung: also nicht um die Ein-zu-eins-Übertragung von Abläufen, die vielleicht ineffizient oder intransparent sind, ins Digitale, sondern um eine Vollzugskritik von Abläufen, die dann für ein neues Zeitalter angepasst werden. Und an diesem Punkt gehen die Bedürfnisse des Querschnittsthemas Integration mit dem Konzept einer breiten Digitalisierungsidee Hand in Hand.