Gemeinsame Sache

Globale Herausforderungen brauchen vor allem eines: eine intensive Zusammenarbeit, meint UN-Untergeneralsekretär Fabrizio Hochschild Drummond.

Fabrizio Hochschild Drummond | Januar 2020
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Sunyixun/Getty Images

Die Robert Bosch Stiftung wurde im Jahr 1964 gegründet, um das philanthropische Vermächtnis von Robert Bosch zu verwirklichen. Den Kern der Tätigkeit der neuen Stiftung bildeten fortan die Fördergebiete Gesundheit, Bildung und Völkerverständigung. Robert Bosch hatte sich zeitlebens für nachhaltigen Frieden engagiert und setzte sich insbesondere für die deutsch-französischen Beziehungen ein. Doch 1964 sah die Welt ganz anders aus als heute. Gefahren für die internationale Verständigung lagen in ideologischen Differenzen und dem längst überfälligen Prozess der Dekolonisation. Es herrschte große Angst, dass der Kalte Krieg den Konflikt der beiden Supermächte verschärfen und es infolgedessen zu einer nuklearen Eskalation kommen könnte. Der Zwischenfall von Tonkin 1964 hatte ein stärkeres Eingreifen der USA in Vietnam zur Folge und der Rhodesien-Krieg nahm seinen Anfang.

Heute stellen eine Reihe anderer Herausforderungen die größte Bedrohung für Mensch und Planet dar. Diese zeichneten sich damals bereits ab, waren in ihren Folgen aber noch nicht deutlich vorhersehbar. Dazu zählen die globale Erwärmung und die Zerstörung der Biodiversität, wachsende Ungleichheit, Fremdenfeindlichkeit, das Wiederaufleben des Nationalismus und die politische Polarisierung rund um das Thema Migration, die disruptiven Auswirkungen transformativer neuer Technologien sowie der demografische Wandel, der zu Verschiebungen der Altersstruktur und zu einer noch größeren ungeplanten Urbanisierung führen wird. War die Weltordnung 1964 noch von zwei Supermächten geprägt, so gab es nach dem Mauerfall nur noch eine Supermacht. Heute erleben wir einen beunruhigenden Übergang zu einer multipolaren Weltordnung. Ein ehemaliger ständiger Vertreter Frankreichs bei den Vereinten Nationen beschrieb diese Entwicklungen als „neue Weltunordnung“, der UN-Generalsekretär bezeichnete sie als „Chaotisierung“.

Porträt_Hochschild
United Nations

Zur Person

Fabrizio Hochschild Drummond ist UN-Untergeneralsekretär und Sonderberater des Generalsekretärs zur Vorbereitung des 75. Jahrestags der Gründung der Vereinten Nationen. Zuvor war er Beigeordneter Generalsekretär für die strategische Koordination im Exekutivbüro des UN-Generalsekretärs.

Tatsächlich stehen wir vor einem fundamentalen und potenziell tragischen Paradox zwischen wachsenden globalen Herausforderungen und einem Rückzug von den Institutionen, die globale Lösungen herbeiführen können. Werden die Herausforderungen nicht angegangen, so wird dies weitreichende Konsequenzen für das Wohlergehen unserer Kinder, Enkelkinder und den Planeten haben.

Dies wird besonders beim Thema Klimawandel deutlich, der sich schneller vollzieht, als wir Maßnahmen dagegen ergreifen können. Im vergangenen Herbst hat der Weltklimarat die ernüchternde Warnung herausgegeben, dass uns nur noch 11 Jahre bleiben, um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Die Auswirkungen des Klimawandels sind allgegenwärtig: Hitzewellen in Europa, Dürren in Afrika sowie Wirbelstürme in der Karibik und in den USA. Im vergangenen Jahr wurden Schätzungen zufolge 17,2 Millionen Menschen aufgrund der vom Klimawandel verschärften Naturkatastrophen heimatlos. Es gibt Prognosen, die von rund einer Milliarde Klimamigranten bis zum Jahr 2050 ausgehen, sollte der derzeitige Trend der globalen Erwärmung nicht umgekehrt werden.

Dabei ist die erzwungene Migration nur eine von mehreren demografischen Entwicklungen, die wir besser angehen müssen. In vielen ärmeren Teilen der Welt wächst der Anteil junger Menschen in der Bevölkerung, während in vielen OECD-Ländern der Anteil älterer Menschen mit höherer Lebenserwartung steigt. Weltweit leben mittlerweile knapp über die Hälfte aller Menschen in Städten, eine Zahl, die bis zum Jahr 2050 auf mindestens 75 Prozent steigen wird. Diese Bevölkerungstrends werden tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesundheitssysteme und die Wirtschaft haben sowie neue migrationsbezogene Herausforderungen schaffen.

Wir brauchen neue Ansätze und kreatives Denken.

Gleichzeitig nimmt die Ungleichheit zwischen Ländern sowie innerhalb von Gesellschaften weiter zu und ist ein Hauptgrund dafür, dass das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Regierungen und die Entfremdung von staatlichen Institutionen wächst. Laut „Pathways for Peace“, einer gemeinsamen Studie der Weltbank und der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2018, sind Ungleichheit und Ausgrenzung die Hauptursachen für Konflikte weltweit. Während die Reallöhne von Geringverdienern in den letzten Jahrzehnten stagnierten oder sanken, hat sich die Zahl der Milliardäre verzehnfacht. Vergangenes Jahr berichteten sowohl Oxfam als auch Credit Suisse: Wenn man ein durchschnittlich großes Klassenzimmer mit den reichsten Menschen der Welt füllen würde, entspräche ihr gesamtes Vermögen dem der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung, also dem von 3,7 Milliarden Menschen.

Darüber hinaus beeinflussen neue Technologien das Leben der Menschen in beispiellosem Ausmaß und einer nie dagewesenen Geschwindigkeit. Es dauerte 60 Jahre, bis die Anzahl der Autofahrenden weltweit 50 Millionen betrug. Digitale Technologien hingegen haben weniger als 30 Jahre gebraucht, um bei der Hälfte der Weltbevölkerung anzukommen. Die Potenziale digitaler Technologie und künstlicher Intelligenz sind vielversprechend. Allerdings können wir noch nicht abschätzen, welche Auswirkungen sie auf unsere Privatsphäre, Demokratie, Arbeitsplätze, den gesellschaftlichen Zusammenhalt oder mögliche Konflikte haben werden.

Im Juli 2018 hat der UN-Generalsekretär das Highlevel Panel on Digital Cooperation ins Leben gerufen. Es hatte den Auftrag, Empfehlungen zu erarbeiten, wie digitale Technologien zum Wohle aller eingesetzt werden können und unbeabsichtigte negative Folgen und Missbrauch vermieden werden. In seinem Abschlussbericht „The Age of Digital Interdependence“ kommt das Panel zu dem Schluss, dass es unerlässlich und dringend notwendig ist, nicht nur stärker über Grenzen hinweg, sondern auch interdisziplinär zusammenzuarbeiten, um neue Technologien auf das Wohl der Allgemeinheit auszurichten. Eine solche Kooperation verschiedener Stakeholder muss wesentlich flexibler und agiler sein und schneller Resultate liefern können als einige unserer derzeitigen UN-Prozesse.

Wie setzen wir digitale Technologien zum Wohle aller ein?

Der UN-Generalsekretär hat betont, dass wir nicht darauf hoffen können, im 21. Jahrhundert eine sichere Zukunft für unsere Kinder zu schaffen, wenn unsere Institutionen und unsere Denkweise noch im 20. Jahrhundert verhaftet sind. Reform- und Modernisierungsbemühungen in allen Bereichen sind entscheidend, um diese übergreifenden Herausforderungen unserer Zeit angehen zu können.

In den Vereinten Nationen führt Generalsekretär António Guterres eine Vielzahl an Initiativen an, damit wir unseren Kernaufgaben effektiver nachkommen können: der Förderung von Frieden, Sicherheit, sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung.

Im Rahmen des bevorstehenden 75-jährigen Jubiläums der Vereinten Nationen wurde eine Initiative ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, wieder eine engere Verbindung zu den Menschen weltweit zu schaffen, für die die UN einst gegründet wurde. Wir wollen von den Menschen erfahren, wie man im Hinblick auf die größten globalen Bedrohungen die internationale Zusammenarbeit verbessern kann. Der UN-Generalsekretär hat mich mit der Aufgabe betraut, einen globalen Austausch darüber umzusetzen, welche Zukunft wir uns wünschen und welche Zukunft uns bevorsteht, wenn die derzeitigen globalen Trends durch die bestehenden und neu entstehenden Institutionen nicht besser angegangen werden.

Wir werden Tausende Bevölkerungsbefragungen weltweit durchführen, mit Fokus auf junge Menschen, auf unsere Kritiker und marginalisierte Gruppen, um deren Perspektiven zur Bedeutung von globaler Kooperation für eine bessere Zukunft zu hören. Dabei werden wir mit dem gesamten UN-System sowie mit externen Partnern zusammenarbeiten. Die Ergebnisse dieser Initiative werden wir den Staatschefs im Rahmen der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2020 vorlegen.
 Wir sind stolz darauf, dieses Vorhaben in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen weltweit umzusetzen.

Wir bei den Vereinten Nationen sind überzeugt, dass in einer Zeit globaler Unsicherheit neue Ansätze und kreatives Denken unabdingbare Voraussetzungen für nachhaltigen Frieden und den Erhalt der Menschheit und des Planeten sind. Die Tatsache, dass immer mehr Menschen und Organisationen diese Vision mittragen und bestrebt sind, ihre Institutionen auf derzeitig
 und in Zukunft relevante Fragestellungen auszurichten, gibt Anlass zur Hoffnung.

Das Magazin (02/2019)

Dieses Magazin stellt die vier neuen Themen der internationalen Arbeit der Robert Bosch Stiftung vor und gibt einen...