Immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Stadt. Doch Klimawandel, Verkehr, Verschmutzung und sozioökonomische Unterschiede setzen der städtischen Bevölkerung physisch und mental verstärkt zu. In Berlin diskutierten junge Wissenschaftler:innen, wie Gesundheitsprävention darauf reagieren kann.
Der Zug vom Land in die Stadt ist weltweit ungebrochen. 2008 lebte die Hälfte der Menschheit in urbanen Räumen, 2028 werden es laut Vereinten Nationen über 70 Prozent sein. Das stellt auch die Gesundheitsprävention vor neue Aufgaben. Denn Klimawandel, Verkehr, Verschmutzung, soziale Dichte und sozioökonomische Unterschiede setzen der städtischen Bevölkerung physisch und mental in besonderem Maße zu.
Im Rahmen einer Summer School zum Thema „Gesunde Zukunft – Gesunde Städte“ trafen sich vom im Juni 20 junge Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen mit Expert:innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis in Berlin, um mögliche Lösungen zu diskutieren. Bei einer zweitägigen Feldforschung im Stadtteil Wedding befragten sie Bewohner:innen nach ihren Wünschen und Vorstellungen. Veranstaltet wurde die Summer School von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Robert Bosch Stiftung und dem Marburger Bund und der Charité.
Vier Studierende erzählen, warum sie teilgenommen haben, welche Erkenntnisse sie mitnehmen und was sie in ihrer Arbeit aufgreifen wollen.
Stadt – das bedeutet auch: Stress. Wie man dem vorbeugt, beschäftigt Poul Schulte-Frankenfeld (24) schon lange. Für seinen Abschluss in „International Management“ evaluierte er eine Meditations-App. Zurzeit feilt er an der Universität Amsterdam an seinem Psychologie-Bachelor, studiert seit April dazu noch Medizin in Berlin. „Ich habe gelernt, dass es viele kleine Faktoren sind, die Menschen in psychische Krisen führen, und ich denke, das trifft auch auf andere Gesundheitsprobleme zu“, sagt er. Prävention funktioniere daher nur interdisziplinär. „Die Summer School sah ich als coole Option, mich mit Leuten aus ganz anderen Bereichen auszutauschen“, beschreibt er seine Erwartungen.
Der Klimawandel, die heißen Sommer – mit den gesundheitlichen Folgen wird Pflege-Studentin Jana Berggötz ganz real konfrontiert. „Den alten Menschen macht die Hitze sehr zu schaffen“, erzählt die 22-Jährige, die in der Akutgeriatrie und Unfallchirurgie des Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhauses den praktischen Teil des Studiengangs „Angewandte Gesundheits- und Pflegewissenschaften“ absolviert. Je heißer es sei, desto mehr Patient:innen würden eingeliefert. Auch den Pflegenden, die ständig Masken tragen, falle ihre Arbeit dann schwerer.
An der Uni nimmt Jana an einem Projekt zum „Umgang mit Hitze“ teil. Dabei geht es auch um mehr Nachhaltigkeit in Kliniken und Heimen. „Man glaubt gar nicht, wie viel Plastikmüll tagtäglich anfällt, wie viele Lichter unnötig brennen, wie viele Medikamente ungenutzt weggeworfen werden“, berichtet sie aus eigener Erfahrung. „Da müssen wir besser werden, natürlich ohne die Standards zu senken.“ Mit der Summer School wollte sie vor allem ihr Umweltwissen verbessern, um solche Strategien zu entwickeln.
Metropolen haben David Gamlin (19) schon früh fasziniert. „Ich bin in einem Dorf aufgewachsen “, erzählt der Sohn eines Deutschen und einer Französin, der seine Schulzeit in Frankreich verbrachte. „Vielleicht habe ich deshalb einen besonderen Blick auf die Potenziale von Städten. Ich dachte immer: Was könnte man alles aus diesen Lebensräumen machen, wie grün, wie menschlich könnte man sie gestalten – wenn man den Willen dazu hätte.“
Als Medizinstudent (Charité, 4. Semester) bewahrte er sich dieses Interesse für Architektur und Stadtplanung. Schon eine ganze Weile sucht er nach Möglichkeiten, die beiden großen Themen Stadt und Gesundheit zusammenzudenken – angetrieben vom Wunsch, Menschen zu helfen und der Gesellschaft „nützlich“ zu sein. Die Summer School kam da gerade recht. „Ich möchte Ziele erkennen, an denen ich arbeiten und wo ich vielleicht etwas verändern kann“, formuliert er seine Erwartung. „Und natürlich Gleichgesinnte kennenlernen!“
Dass sie bei dieser Summer School eine Exotin sein würde, war Pauline Brunner (25) klar. „Wenn es um Gesundheit geht, sind Medizin, Public Health und Pflege immer stark vertreten“, weiß die Berlinerin, die an der Freien Universität kurz vor ihrem Master in Sozial- und Kulturanthropologie steht. Aber genau das reizte sie an der Veranstaltung. „Im Seminar, mit Kommiliton:innen herrsche ein fachlicher Konsens über Themen und Methoden.“ Sie wolle aber wissen, wie andere Disziplinen soziale und kulturelle Faktoren in die Betrachtung von Gesundheit mit einbeziehen. „Welche Rolle spielen Gender, Klasse und Rassismus bei Fragen nach Gesundheit und der ungleichen Behandlung von Menschen? Und welche Auswirkungen haben Erkrankungen auf den Alltag Betroffener?“, fasst sie ihre großen Themen zusammen. „Unsichtbaren“ Menschen, die im öffentlichen Diskurs fehlen, zu einer Stimme verhelfen – das sei ihr Anspruch. Darüber hinaus helfe ihr der interdisziplinäre Austausch, sich ihrer eigenen Ziele zu vergewissern: „Indem man anderen die eigene Position erklärt, wird sie einem selbst klarer.“
Im Rahmen unser Initiative „Neustart! Reformwerkstatt für unser Gesundheitswesen“ kooperieren wir seit 2020 mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW). Im Mittelpunkt der Zusammenarbeit steht das Bemühen, ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit und Krankheit zu vermitteln sowie das gemeinsame Interesse „Gesundheit für alle“ (SDG 3) zu stärken.
Gerade die Corona – Pandemie hat uns gezeigt, dass Umweltaspekte oder Präventionsmaßnahmen für die Gesunderhaltung möglichst vieler Menschen mindestens ebenso relevant sind, wie die reine Behandlungsmedizin. Die Summer School „Gesunde Zukunft – Gesunde Städte“ hat daran angeknüpft und war abschließender Teil einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe zur „Gesundheit von morgen“.