Projekt "Integrationsmacher:innen"

Wie eine handvoll Menschen Integration in Kommunen voranbringt

„Wenn Du etwas bewegen willst, geh‘ auf keinen Fall in eine Behörde“, bekam der IT-Projektmanager Dustin Savarino zu hören. Er tat es trotzdem – und brachte neuen Schwung in eine völlig überlastete Ausländerbehörde. Bericht über eine außergewöhnliche Zusammenarbeit.

Text
Eva Wolfangel
Fotos
Samuel Mindermann
Datum
13. Mai 2024

Eine Stelle für nur ein halbes Jahr? „Das gab mir Sicherheit“, sagt Dustin Savarino – und merkt im gleichen Moment, wie seltsam das für Außenstehende klingen muss. Aber Integrationsmacher:innen sind besonders, das zeigt sich schon bei der ersten Frage an den jungen IT-Projektmanager, der aus der freien Wirtschaft in eine Behörde gewechselt ist. Heute, ein ereignisreiches halbes Jahr nach seiner Entscheidung, tauscht er sich mit Gleichgesinnten aus: Die Beteiligten des Programms „Integrationsmacher:innen“ der Lokalprojekte gGmbH, das von der Robert Bosch Stiftung gefördert wird, treffen sich zum Abschluss in Stuttgart.

Kreisförmige Grafik
Projekt

Die Integrationsmacher:innen

Wir unterstützen fünf Kommunen bei digitalen und sozial innovativen Projekten - und holen dazu "Macher:innen" aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft ins Boot.

Für Savarino kam das Projekt genau richtig, berichtet er in einer Kaffeepause: Der Mitte 20-Jährige hatte nach seinem Studium einige Jahre als Projektmanager für IT-Projekte bei einem Mittelständler gearbeitet. Die Bedingungen seien schon okay gewesen, die Bezahlung ebenfalls. Aber irgendetwas fehlte: Savarino hatte das Gefühl, dass er etwas Sinnvolles tun wollte für die Gesellschaft. „Das war eine intensive Auseinandersetzung mit mir selbst“, sagt er heute, „ich wollte gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.“

Behörden sind langsam und innovationsfeindlich? Bei den Integrationsmacher:innen zeigt sich ein anderes Bild

Als Savarino das Programm der Lokalprojekte entdeckt, steht es noch ganz am Anfang. Er sieht, dass die Stadt Pforzheim dabei ist: Sie sucht jemanden, um die Prozesse im Amt für öffentliche Ordnung zu strukturieren – insbesondere in der Ausländerbehörde, deren Mitarbeitende überlastet sind von den vielen Anforderungen, die eine Stadt mit dem viertgrößten Anteil von Migrant:innen in Deutschland mit sich bringt. „Das könnte was sein“, denkt sich Savarino – um kurz darauf von einem Bekannten gestoppt zu werden in seinem Enthusiasmus. „Er sagte: Wenn du etwas bewegen willst, dann geh' auf keinen Fall in eine Behörde.“ Savarino entschied sich trotzdem dafür. „Es klang gut“ – und schließlich würde er nach sechs Monaten wieder aufhören können, falls es nichts ist.

Portraitfoto von Dustin Savarino
Drei Teilnehmende aus dem Projekt Integrationsmacher:innen stehen in einer Runde und unterhalten sich

Dustin Savarino und weitere "Integrationsmacher:innen". Sechs Monate hatten sie Zeit für ihre Vorhaben

Der Ruf eilt der Verwaltung voraus: Behörden seien langsam und umständlich, heißt es immer wieder, zudem innovationsfeindlich. Und Digitalisierung? Pah! Faxe! Dass das nicht die ganze Wahrheit ist, zeigt sich auf der Abschlussveranstaltung der Integrationsmacher:innen in Stuttgart, auf der alle Beteiligten von ihren Erfahrungen berichten. Da wird vor allem eines klar: Die beteiligten Behörden versuchen mit begrenzten Ressourcen auf verschiedenste Weise, mit wachsenden Herausforderungen klarzukommen – und alle fünf sind offen für digitale Innovationen. Von einer App, die Neuangekommene in Kalletal mit Informationen versorgt über ein Netzwerk für alle im Burgenlandkreis, die mit Geflüchteten zu tun haben bis hin zur Prozessoptimierung in Pforzheim: In nur sechs Monaten sind beeindruckende Veränderungen zustande gekommen. Von den erwarteten Widerständen innerhalb verstaubter Behördenstrukturen hingegen gab es erstaunlich wenige.

Dustin Savarino hielt sich nicht damit auf, den Menschen im Amt Vorträge zu halten mit Begriffen wie Onboarding oder Prozesslandkarte – stattdessen setzte er sich mitten in die Büros und ließ sich erklären, wie die Arbeit abläuft.

Das kann natürlich auch daran liegen, dass sich hier eine ganz besondere Klientel versammelt: „Interessierte Behörden mussten sich mit einer konkreten Herausforderung und einem Paten aus ihren Reihen bewerben“, erklärt Romy Marquart von Lokalprojekte. Von daher hatten sie bereits vor Beginn eine große Eigenmotivation – und auch einen gewissen Leidensdruck, wie beim Treffen in Stuttgart deutlich wird. Die Ausländerbehörde sei völlig überlastet gewesen, berichtet zum Beispiel der Leiter des Pforzheimer Amtes für öffentliche Ordnung Jürgen Beck. „Wir hatten zudem eine extreme Fluktuation.“ In einem Jahr sei etwa die Hälfte der Mitarbeitenden gegangen. „Damit ging viel Wissen verloren.“ Es war oft nicht ganz klar, wer wofür zuständig ist, wie Prozesse ablaufen. Deshalb machte er sich auf die Suche und fand Lokalprojekte. „Das war genau das Richtige!“

Savarino nickt zustimmend. Auch wenn er zunächst erstaunt gewesen sei, als er in die Behörde kam. „Es gab für neue Mitarbeiter kein strukturiertes Onboarding“, berichtet er. Unklare Prozesse, verschiedene Standards und tausende ungelesene E-Mails allein im Postfach einer Mitarbeiterin – während täglich neue hinzukamen. Aber er hielt sich nicht damit auf, den Menschen im Amt Vorträge mit für deren Ohren ungewohnten Begriffe wie Onboarding oder Prozesslandkarte zu halten. Stattdessen setzte er sich mitten in die Büros und ließ sich erklären, wie die Arbeit abläuft.

Das könnte Sie auch interessieren
Nummernanzeige in einer deutschen Behörde
Studie zu Datenmanagement

Integration: Beteiligte in Kommunen sollten stärker kooperieren

Eine Politologin und ein Verwaltungsexperte erklären, wie sich Prozesse der Integration verbessern lassen.

Gemeinsam strukturierten sie diese neu, definierten einheitliche Prozesse und erstellten eine Wissensbasis als Grundlage für künftige Mitarbeitende. „Die Leute haben sich Zeit genommen, die sie sich eigentlich nicht leisten konnten“, sagt Savarino heute schwärmend. Weil sie verstanden, dass die Veränderungen langfristig Zeit sparen und Kräfte bündeln – und sie so ihrer eigentlichen Aufgabe wieder gerecht werden können.

Angst vor Anfeindungen, Geflüchtetenhilfe im Verborgenen – ein Netzwerk hat das geändert

„Eine Ausländerbehörde eröffnet Chancen oder schließt sie“, sagt Anna Lena Hemmer, die in der Mittagspause neben Savarino an einem Stehtisch steht und zuhört. Sie ist Integrationskoordination im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt. „In der Migrationsagentur spüren wir täglich, mit welchen Ängsten und Hoffnungen Menschen zu uns kommen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Mitarbeitenden genau wissen, wo sie relevante Informationen finden, um den Menschen bestmöglich zu helfen", sagt sie.

Naemi Pfendt und Anna Lena Hemmer vom Projekt "Integrationsmacher:innen" stehen nebeneinander auf einer Wiese und lachen in die Kamera
Naemi Pfendt und Anna Lena Hemmer vom Projekt "Integrationsmacher:innen" stehen vor einer Leinwand und berichten von ihren Ergebnissen

Naemi Pfendt (links) kam direkt aus dem Studium des Innovations- und Changemanagements in die Verwaltung im Burgenlandkreis - ihre Partnerin dort: Integrationskoordinatorin Anna Lena Hemmer (zweites Bild rechts)

Hemmer steht nicht nur am Stehtisch in Stuttgart auf der anderen Seite als Savarino: Im Projekt der Integrationsmacher:innen ist sie die Patin auf Verwaltungsseite. Ihre „Macherin“ Naemi Pfendt kam direkt aus dem Studium des Innovations- und Changemanagements. Gemeinsam mit Susi Neupert, ebenfalls Integrationskoordinatorin, haben die beiden Frauen eine Community Plattform entwickelt, eine Art geschlossenes Facebook für alle im Burgenlandkreis, die mit Migration zu tun haben. Hintergrund dafür seien die vielen Schwierigkeiten in der Integration im ländlichen Raum Ostdeutschlands, sagt Hemmer: „Viele im Integrationsbereich haben das Gefühl, allein auf weiter Flur zu sein.“ Sie versteckten ihr Engagement, weil sie im Bekannten- und Verwandtenkreis häufig Ablehnung erfuhren.

Das Netzwerk sorgt für ein Gemeinschaftsgefühl und dafür, dass die wenigen Ressourcen an den richtigen Stellen ankommen. Dabei profitiert die Behörde von der Struktur des Projekts der Integrationsmacher:innen: Da die „Macher:innen“ offiziell nur „ausgeliehen“ sind – in Form einer Arbeitnehmerüberlassung durch Lokalprojekte – ist die Hürde viel niedriger. Anna Lena Hemmer sagt: „Wir mussten uns keine Gedanken um Eingruppierungen oder die Beteiligung von internen Gremien machen, das hat alles vereinfacht!“ Das Projekt umschifft geschickt zähe Bürokratie.

Was die "Integrationsmacher:innen" erreicht haben

Im Video unseres Partners Lokalprojekte berichten "Integrationsmacher:innen" aus den beteiligten Kommunen - aus der Hansestadt Stalsund, der Gemeinde Kalletal, dem Burgenlandkreis, der Stadt Torgau und der Stadt Pforzheim.

80 aktive Nutzende hat das Netzwerk für in Aktive in der Integrationsarbeit heute, sagt Pfendt: „Das hätten wir nie gedacht!“ Inzwischen schließen sich auch jene an, die bisher zögerlich waren. „Langsam haben sie Angst, etwas zu verpassen“, sagt Hemmer lachend. Der Erfolg gibt Pfendt und Hemmer recht: Jetzt, wo alle direkt miteinander in Austausch stehen, können viele kleine Probleme schnell gelöst werden. Einmal beispielsweise, berichtet Hemmer, hätte eine Gruppe neu zugezogener Kinder noch geimpft werden müssen, bevor sie die Schule besuchen konnten. Doch die lokalen Kinderärzte hätten keine Kapazitäten gehabt. Kurzerhand postete Hemmer das Anliegen in der Timeline, es fand sich eine Ärztin – und schon am nächsten Tag seien die Kinder geimpft worden. Man hilft sich gegenseitig aus. „Der Landrat ist über die Plattform per DM zu erreichen“, sagt Hemmer. „Unser größtes Learning ist: Vernetzung kann Berge versetzen.“