Am 7. Oktober jährt sich der Terrorangriff der Hamas auf Israel zum ersten Mal. Friedensarbeit und Dialogförderung scheinen in weite Ferne gerückt zu sein. Was bedeutet diese Situation für Orte der Verständigung wie die "School for Peace"?
Die Zeichen stehen auf Krieg, noch immer. Ein Jahr nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, ein Jahr nach dem Beginn des Gazakrieges ist die Region weiter in Aufruhr. Es droht gar eine Eskalation. Von Frieden spricht in Israel in diesen Tagen öffentlich kaum jemand, es sei denn mit Spott oder Zynismus.
Doch es gibt eine Gegenbewegung zu der Bitterkeit, zu der Verhärtung des Diskurses, die in Medien und Politik zu beobachten ist, wenngleich noch unter dem Radar: Die „School for Peace“ in Neve Shalom/Wahat al-Salam verzeichnet seit dem Angriff der Hamas mehr Anmeldungen als zuvor – von jüdischen ebenso wie von palästinensischen Bürger:innen Israels, wie der Schuldirektor Roi Silberberg berichtet. „Ja, um uns herum herrscht Gewalt“, sagt er. „Aber wir bestehen darauf, dass wir auch in dieser Zeit miteinander sprechen können.“
Rund 1.200 Menschen ermordeten die Terroristen der Hamas am 7. Oktober 2023, rund 250 weitere verschleppten sie als Geiseln. In dem Krieg, den Israels Armee seitdem gegen die Hamas in Gaza führt, sind über 40.000 Menschen ums Leben gekommen. Im Gazastreifen herrscht eine humanitäre Krise; die meisten der rund 2,2 Millionen Einwohner:innen haben ihre Häuser verloren, müssen immer wieder flüchten. Derweil habe sich in Israel der Raum des öffentlich Sagbaren verengt, berichtet Roi Silberberg. Er selbst sei auf sozialen Medien dafür angegriffen worden, einen aus seiner Sicht harmlosen Wunsch nach Frieden zu äußern.
„Wir haben begriffen, dass wir so viele Teile der palästinensischen Gesellschaft wie möglich einbeziehen müssen, wenn wir einen israelisch-palästinensischen Dialog führen wollen“
Es klingt nach harten Bedingungen für Dialog und Friedensarbeit. Doch Silberberg sieht es genau andersherum: „Unsere Dialogmethode wurde entwickelt für das Leben im Konflikt. Deshalb sind wir jetzt mehr in unserem Element als vorher.“
Die Robert Bosch Stiftung unterstützt nachhaltigen Frieden durch langfristige Förderung in Konfliktregionen. Mit lokalen Partner:innen initiiert die Stiftung inklusive Friedensprozesse und die Umsetzung von Projekten vor Ort. Der Austausch zwischen Akademikern und Praktikern wird weltweit gefördert, um so lokale Friedensansätze in relevante Debatten einzubringen.
Seit vielen Jahren bringt die Schule jüdische und palästinensische Bürger:innen Israels für gemeinsame Projekte und Fortbildungen in den verschiedensten Feldern zusammen. Zu allen Veranstaltungsreihen gehören Dialogsitzungen, die den jahrzehntelangen Konflikt berühren. Vor dem 7. Oktober 2023, berichtet Silberberg, „mussten wir mehr Arbeit leisten, um den Konflikt offenzulegen. Denn es liegt etwas sehr Irreführendes darin, gemeinsam in einem Raum zu sitzen und zu sprechen. Der Gedanke drängt sich auf: Wenn wir miteinander sprechen können, dann gibt es vielleicht keinen Konflikt! Der Krieg erleichtert in diesem Sinne unsere Arbeit. Wir beginnen an einem ganz anderen Punkt.“
Nach dem ersten Schock, den der Angriff der Hamas und der anschließende Kriegsbeginn auch für die Menschen in Neve Shalom/Wahat al-Salam bedeutete, hat die Schule ihre Arbeit den neuen Umständen angepasst. „Wir arbeiten stärker die Tatsache heraus, dass wir in dieser Situation Verantwortung tragen und etwas tun können. Was genau? Das ist zunächst nicht wichtig“, erklärt Silberberg. „Entscheidend ist, zu erkennen: Selbst in dieser Lage haben wir die Möglichkeit, zu handeln.“
Dazu experimentiert die Schule mit neuen Aktionsformen. So dehnte sie ihre Dialogprojekte auf die israelische und palästinensische Diaspora in Europa aus und brachte Vertreter:innen beider Seiten für ein Seminar in Berlin zusammen. Und sie initiierte einen innerpalästinensischen Dialog mit Teilnehmer:innen aus Israel und dem Westjordanland, um den Austausch zwischen Palästinenser:innen über politische und geografische Grenzen hinweg zu fördern. „Wir haben begriffen, dass wir so viele Teile der palästinensischen Gesellschaft wie möglich einbeziehen müssen, wenn wir einen israelisch-palästinensischen Dialog führen wollen“, erklärt Silberberg.
Und trotz der bedrückenden Entwicklungen in der Region erkennt er auch ermutigende Zeichen. So habe nicht nur die Nachfrage für die Angebote der Schule zugenommen, die Teilnehmer:innen zeigten außerdem mehr Engagement als früher. „Das Gefühl der Dringlichkeit hat sich verstärkt. Die Menschen, die zu uns kommen, verpassen keine Sitzungen mehr. Sie haben das Gefühl, dass das, was sie hier tun, von kritischer Bedeutung ist.“