Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist die Frage von Krieg und Frieden nach Europa zurückgekehrt. In Deutschland läuft die Debatte zur ersten Nationalen Sicherheitsstrategie. Welche Rolle der Entwicklungspolitik und Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden dabei zukommt, erklärt Bundesministerin Svenja Schulze im Interview.
Svenja Schulze: Frieden und Sicherheit lassen sich nicht allein mit militärischen Mitteln herstellen. Und die Prävention von Gewalt und Konflikten muss Vorrang haben. Deswegen setzen wir in der Nationalen Sicherheitsstrategie auf einen Dreiklang aus Verteidigungs-, Außen- und Entwicklungspolitik. Wir müssen an den strukturellen Ursachen von Konflikten und Gewalt ansetzen, wie Ungleichheit, Hunger, Armut oder schlechte Regierungsführung.
Der Krieg hat fatale Folgen für die weltweite Ernährungssicherheit, insbesondere in den Ländern des Globalen Südens. Das russische Regime setzt Hunger als Waffe ein. Gemeinsam mit internationalen Partnern steht Deutschland den betroffenen Menschen mit Solidarität und Unterstützungsmaßnahmen zur Seite. Dafür haben wir im Rahmen der G7 gemeinsam mit der Weltbank das globale Bündnis für Ernährungssicherheit ins Leben gerufen, um unsere Anstrengungen international zu bündeln, zusätzliche Mittel bereitzustellen und die Auswirkungen des Kriegs auf die Welternährung abzufedern. Mit unseren entwicklungspolitischen Maßnahmen bieten wir unseren Partnerländern eine Alternative zur Abhängigkeit von Staaten wie Russland oder China durch eine langfristige und nachhaltige Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Deutschland und Europa stehen vor einer Vielzahl an globalen Herausforderungen: Dazu gehören der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Covid-19-Pandemie oder der Klimawandel mit seinen verheerenden Auswirkungen. Und wir müssen uns gemeinsam mit unseren internationalen Partnern allen gleichzeitig stellen. Über zwei Drittel des weltweiten Konfliktgeschehens finden in Ländern des Globalen Südens statt. Und auch wenn sie weit weg scheinen: in unserer vernetzten Welt bahnen sich Krisen und Konflikte in kürzester Zeit ihren Weg bis nach Europa und Deutschland. Deshalb macht eine starke und wirksame Entwicklungspolitik, die die Ursachen von gewaltsamen Konflikten angeht, auch Deutschland sicherer. Vorsorge rettet Menschenleben und ist bei weitem effizienter und erfolgreicher als Interventionen in bestehende Konflikte. Präventive Entwicklungspolitik ist nachhaltige Sicherheitspolitik.
Entwicklungspolitik unterstützt Friedensarbeit auf der lokalen Ebene, das heißt abseits der Hauptstädte. Studien zeigen: Lokal ist Friedensarbeit besonders wirkungsvoll. Sie ist präventiv wirksam, wenn gesellschaftliche Spannungen drohen, sich zu größeren Krisen zu entwickeln. Die gewaltsamen Konflikte zwischen Tierhaltern und Farmern in der Sahel-Region sind ein solches Beispiel. In Deutschland haben wir in der Entwicklungspolitik ein einzigartiges Instrument für die Unterstützung von lokalen Akteur:innen zur Gewaltprävention und Friedensförderung in Krisenregionen: den Zivilen Friedensdienst (ZFD). Dessen Fachkräfte unterstützen weltweit in Krisenregionen örtliche Partnerorganisationen dabei, die Grundlagen für einen nachhaltigen Frieden zu schaffen. Aktuell finanzieren wir mehr als 370 internationale Fachkräfte des Zivilen Friedensdienstes in 43 Ländern.
Als Entwicklungsministerin setze ich mich ein für einen breiten Sicherheitsbegriff, der die menschliche Sicherheit in allen Dimensionen umfasst. Ich bringe diese entwicklungspolitische Perspektive und die Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit lokalen Akteur:innen im Globalen Süden in die Erarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie ein. Das BMZ arbeitet gerade in fragilen Ländern eng mit der lokalen Zivilgesellschaft zusammen und orientiert sich dabei an den Bedarfen der Partner vor Ort. Planungs- und Entscheidungsprozesse führen wir partizipativ durch. Maßgeblich ist für uns ein konfliktsensibles Vorgehen. Die Einbindung lokaler Akteur:innen ist dafür unabdingbar.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) veranstaltet am Montag, 17. Oktober, zusammen mit der Robert Bosch Stiftung die Diskussionsrunde „Was hält uns zusammen? Entwicklungs- und friedenspolitische Antworten im Zeichen der „Zeitenwende““. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze diskutiert mit Prof. Dr. Nicole Deitelhoff vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und der Germanistin, Autorin und Stifterin Dr. Auma Obama. Moderiert wird die Veranstaltung von der Journalistin Natalie Amiri.