Warum ist zivilgesellschaftliches Engagement einer der wichtigsten Bausteine für eine funktionierende Demokratie? Wie schützt es vor Extremismus? Und wie bringt das gemeinsame Tun Menschen in einer Gesellschaft zusammen? Der Initiator des Programms “Vor Ort vereint” sowie zwei Vertreterinnen der „Omas gegen Rechts“ geben Antworten.
Dass Demokratie nicht selbstverständlich ist, spüren in Deutschland gerade viele Menschen. In den letzten Monaten fanden u.a. zahlreiche Demonstrationen mit bis zu 100.000 Teilnehmenden statt. Warum ist eine starke Zivilgesellschaft wichtig für eine funktionierende Demokratie?
Martin Modlinger: Der Kern unserer Demokratie ist Zusammenhalt, der über Politik oder das Berufsleben hinausgeht. Abseits der Familie findet der Versuch, gemeinsam etwas für die Gesellschaft zu gestalten, vor allem in zivilgesellschaftlichem Engagement statt. Wie wichtig dieser Einsatz ist, merkt man aktuell: Mit dem Aufschwung totalitärer Tendenzen – international zum Beispiel in Ungarn oder den USA, national mit den hohen Wahlergebnissen für rechtspopulistische bis rechtsextreme Inhalte – stehen wir an einem Kipppunkt. Wenn wir jetzt nicht aufstehen, kann es wirklich gefährlich werden.
„Es wird deutlich, wie schnell Demokratie abgebaut werden kann und was passiert, wenn eine demokratische Mitte sich nicht mehr gegen extremistische Stimmen durchsetzen kann. Gerade jetzt muss die Zivilgesellschaft als Stimme für die Demokratie wahrgenommen werden.“
Anette Niemeyer: Absolut. Wenn wir diese zivilgesellschaftlichen Strukturen nicht hätten, wäre unsere Demokratie nur eine staatliche Anordnung, nichts Lebendiges. Zivilgesellschaftliches Engagement in Schulen, Sport- oder Kulturvereinen oder bei anderen Initiativen ist zentral und diese Strukturen sind lange gewachsen. Ohne eine gelebte Demokratie könnten wir als „Omas gegen Rechts“ unsere Ziele überhaupt nicht verfolgen.
Heike Fiedler-Römhild: Bei den „Omas gegen Rechts“ merken wir gleichzeitig, welchen Unterschied zivilgesellschaftliches Engagement machen kann. Es schafft Verbindung, man fühlt sich nicht mehr so allein und machtlos.
Das Programm „Vor Ort vereint - Für ein starkes Miteinander“ von der Robert Bosch Stiftung fördert den Zusammenhalt in kleineren Städten und Dörfern in Deutschland. Engagierte Einzelpersonen, Vereine und Initiativen tun sich zusammen, um das respektvolle Miteinander zu stärken. Am Ende soll nicht übereinander geredet, sondern miteinander etwas geschaffen werden. Gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung hat das Änderwerk aus über 500 Einreichungen 44 Projekte ausgewählt, die mit 5.000 bis 15.000 Euro gefördert werden, unter anderem die „Omas gegen Rechts Rostock Stadt und Land“.
Mit dem Projekt „Vor Ort vereint“ und in der Ortsgruppe der „Omas gegen Rechts“ prägen Sie die Gesellschaft vor Ort aktiv mit. Welche positive Wirkung hat dieses zivilgesellschaftliche Engagement auf lokaler Ebene?
Martin Modlinger: Demokratie ist eigentlich nur lokal erlebbar. Klar, es gibt sie auch in Europa oder im Land, aber wie sie sich konkret auswirkt und welchen Einfluss das eigene Handeln haben kann, merkt man nur vor Ort. Genau da setzen wir an: Gerade in Dörfern und Kleinstädten gibt es wenig Fördermittel oder Begegnungsorte – und das in einer Zeit, in der es besonders wichtig ist, sich zu engagieren. Deshalb fördern wir Initiativen, die den Zusammenhalt stärken wollen. Ein Projekt bringt zum Beispiel das Engagement für Frauenrechte, das sich unter anderem in den Protesten gegen das iranische Regime geprägt hat, mit der Bewegung „Nie wieder ist jetzt“ zusammen. Die Teilnehmenden sprechen über die Erfahrung, dass sowohl Islamismus als auch Rechtsextremismus jeweils versucht, Frauen zu unterdrücken. Durch das Projekt tauschen auf einmal zwei oft weitgehend getrennte Gruppen Erfahrungen aus, stärken sich gegenseitig und überlegen, wie sie gemeinsam etwas aufbauen können, um solchen Tendenzen entgegenzuwirken. Das ist gelebte Demokratie.
„Für viele Menschen setzen wir mit unserem Engagement ein Zeichen, dass sie nicht allein sind. Bei Veranstaltungen immer wieder zu hören „schön, dass ihr da seid“, zeigt uns, dass wir hier etwas bewirken.“
Heike Fiedler-Römhild: Ich finde es beeindruckend zu sehen, wie unsere Initiative wächst und Zulauf bekommt. Als wir die Ortsgruppe vor einem halben Jahr gegründet haben, waren wir acht Frauen – inzwischen sind wir über 20. Daran sieht man, dass es einen großen Unterschied macht, wenn wir sichtbar sind und unseren Standpunkt vertreten.
Die 2018 gegründete zivilgesellschaftliche Initiative „Omas gegen Rechts“ setzt sich deutschlandweit dafür ein, die Angst vor allem Fremden abzubauen und die Demokratie zu stärken. Damit reagiert sie auf die Zunahme von Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit im Land. Zur Initiative gehören zahlreiche Regionalgruppen, in denen sich die Mitglieder vor Ort für eine starke Demokratie einsetzen. Die „Omas gegen Rechts Rostock Stadt und Land“ bestehen seit 2024.
Anette Niemeyer: So sehe ich es auch. Natürlich wollen wir auf der Straße am liebsten Menschen, die extremistische Meinungen vertreten, überzeugen, ihre Ansichten zu verändern. Wir haben aber gelernt, dass solche Gespräche oft schwierig sind. Nun wollen wir vor allem zum Nachdenken anregen.
Martin Modlinger: Es ist auf jeden Fall ein Zeichen, sich öffentlich zu äußern und auch konkret bedrohten Gruppen, wie zum Beispiel geflüchteten, queeren oder armen Menschen, zu zeigen, dass wir hinter ihnen stehen. Ich glaube, das diese Solidarität die wichtigste Extremismusprävention überhaupt ist.
Die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 24. Februar stellt das zivilgesellschaftliche Engagement einiger gemeinnütziger Organisationen – unter anderem auch der „Omas gegen Rechts“ – infrage und wirft ihnen vor, parteipolitisch motiviert zu sein. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Anette Niemeyer: Mir macht diese Entwicklung im Land große Sorgen. Hinter den zivilgesellschaftlichen Organisationen stecken jahrelang gelebte Netzwerke und Kontakte vor Ort, die sich für die Demokratie einsetzen. Gerade in schwierigen Zeiten ist eine solche Vernetzung notwendig, um gemeinsam laut werden zu können. Es gibt sowieso schon verhältnismäßig wenig Unterstützung für Projekte, die eine partnerschaftliche, gelebte Demokratie fördern – und dann werden sie auf Bundesebene auch noch angegriffen.
Martin Modlinger: Ich finde auch bezeichnend, was für ein falsches Bild von Zivilgesellschaft hier gezeichnet wird. Die Kleine Anfrage suggeriert, dass Kritik an bestehenden oder möglichen Verhältnissen in einer Demokratie nicht in Ordnung wäre. Aber genau dafür ist die Zivilgesellschaft doch da: um nicht zu allem einfach „Ja und Amen“ zu sagen. Es ist ihre Aufgabe, aufmerksam zu sein und sich für die Gesellschaft einzusetzen. In diesem Zusammenhang finde ich übrigens auch die Drohung im Rahmen der Kleinen Anfrage, vor allem kleineren Organisationen den Status der Gemeinnützigkeit zu entziehen, ein sehr scharfes Schwert. Das Signal zu senden: „Wenn jemand kritisch ist, muss er den Raum verlassen“ halte ich für absolut falsch.
Das Änderwerk ist eine Trägerorganisation und ein Umsetzungsort für Gemeinwohlprojekte aller Art, von Kunst und Kultur bis zu Umweltschutz und Menschenrechte. So ist das Änderwerk selbst Heimat für Engagement und Zusammenhalt und bietet die nötige Unterstützung, damit engagierte Menschen und Gruppen ihre jeweiligen Ziele besser erreichen können. Die Mitarbeiter:innen kümmern sich um die Mittelverwaltung, die Buchhaltung, teilen ihr breites Wissen und ermöglichen es auch nicht gemeinnützigen Initiativen, ihre Gemeinwohlziele zu erreichen.
Warum ist es wichtig, dass engagierte Menschen ihren Gestaltungsraum in der Gesellschaft bewahren können?
Martin Modlinger: Alles, was wirklich Zusammenhalt fördert, funktioniert nur, weil es diese zivilgesellschaftlichen Gruppen gibt. Und wenn man ihren Gestaltungsraum einschränkt, gehen sie verloren. Wie Annette Niemeyer gesagt hat, entwickelt sich zivilgesellschaftliches Engagement nicht von heute auf morgen. Solche Strukturen wachsen über Jahre hinweg und brauchen einen sicheren Rahmen, um sich entwickeln zu können. Die meisten Strukturen werden über das Ehrenamt getragen – Menschen, die sich am Feierabend, im Ruhestand oder am Wochenende für die Demokratie einsetzen. Sie brauchen Wertschätzung. Wenn dieser Rahmen bedroht wird, könnten viele wunderbare Sachen, vom Jugendtreff bis zum Integrationskreis, nicht mehr stattfinden.
Anette Niemeyer: Das kann ich nur unterstreichen. Mir kommt dazu eine Ausstellung im Rostocker Rathaus zur Frauenbewegung in der DDR in den Sinn, die ich vor Kurzem besucht habe. Bei einer Podiumsdiskussion dazu wurde sehr deutlich, wie wertvoll es für diese Frauen ist, heute in einer Demokratie zu leben, in der sie ohne Sorge oder Repressionen ihre Ideen und Meinungen äußern können. Das ist der Kern unserer Zivilgesellschaft – und den dürfen wir uns nicht mehr nehmen lassen.