Rechte von Menschen mit Behinderungen

Wie Philanthropie inklusiver werden kann

Es gibt zu wenig Geld für Organisationen, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzen. Unser Partner Disability Rights Fund erläuert, warum Behinderung kein Randthema ist.

Text
Priti Salian
Bilder
Rucha Chitnis
Datum
22. April 2025
15Prozent der Weltbevölkerung leben mit einer Behinderung

Die Bewegung für die Rechte von Menschen mit Behinderungen steht weltweit vor einem gravierenden Problem: Nur etwa zwei Prozent der philanthropischen Fördermittel im Bereich der Menschenrechte erreichen diese Gruppe – obwohl rund 15 Prozent der Weltbevölkerung mit einer Behinderung leben. Viele Förderer übersehen das Thema Behinderung oder betrachten es als Randthema, obwohl es eng mit allen Fragen der sozialen Gerechtigkeit verknüpft ist. „Eine behinderte Person ist nie 'nur' behindert“, sagt Myroslava Tataryn, Leiterin der Movements Division des Disability Rights Fund (DRF). „Dennoch betrachten viele Geldgeber Behinderung immer noch getrennt von größeren Themen wie Klimagerechtigkeit, Gleichberechtigung oder Gesundheit.“

In der Philanthropie ist derzeit ein Trend zur Reduzierung von Fördermitteln zu beobachten, zudem kürzen Regierungen in Amerika und Europa ihre Hilfszahlungen. Diese Entwicklungen machen die Zukunft der Behindertenorganisationen sehr unsicher. „Die neuen Regierungsschwerpunkte und die knapp bemessenen Budgets sind bereits jetzt problematisch – und zwar nicht nur für uns, sondern für viele Organisationen“, erklärt Myroslava Tataryn.

Menschen in einer Diskussionsrunde. Im Vordergrund eine Person im Rollstuhl, eine andere Person meldet sich per Hand.
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Disability Rights Fund

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Der Disability Rights Fund ist Partner im Rahmen unseres Programmes „Gerechtigkeit für Menschen mit Behinderung“

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Interessenvertretung als Schlüssel zum Wandel

Der DRF fördert Organisationen von Menschen mit Behinderungen (OPDs) in Afrika, Asien, im Pazifikraum und in der Karibik. Das gemeinsame Ziel ist es, die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Inklusion voranzubringen. Unterstützt durch die Robert Bosch Stiftung, schließt DRF durch flexible Finanzierung bestehende Lücken in den Budgets der OPDs, stärkt Partnerschaften und fördert strukturelle Veränderungen in Gesellschaft und Politik. Die Fördermittelempfänger werden von einem Komitee ausgewählt, das aus Vertreter:innen der Behindertenbewegung, Aktivist:innen und Jurist:innen besteht.

Neben der finanziellen Unterstützung ist die Interessenvertretung ein zentrales Element der Arbeit des DRF. „Bei jedem Treffen mit unseren Geförderten sorgen wir dafür, dass auch Regierungsvertreter anwesend sind“, betont Chrissy Zimba, DRF-Programmmanagerin in Malawi. „Die Politiker:innen lernen so, was es bedeutet, die Perspektiven von Menschen mit Behinderungen in Politik und Programme zu integrieren. Sie erfahren, was die Behindertenbewegung von ihnen erwartet und welche Verpflichtungen sie haben.“

Das Ziel: Ein Perspektivwechsel bei Geldgebern

Für den DRF ist es ein großer Erfolg, wenn Geldgeber ihre Sichtweise ändern und die Rechte von Menschen mit Behinderungen als integralen Bestandteil ihres Mandats betrachten – und nicht als separates Thema.

„Der Moment, in dem wir wissen, dass wir unsere Arbeit getan haben, ist, wenn ein Geldgeber beginnt, seine Finanzierungsart zu verändern, seinen Wirkungskreis zu erweitern und Behinderung als etwas zu sehen, das sein Mandat bereichert.“

Zitat vonMyroslava Tataryn, Leiterin der Movements Division des Disability Rights Fund (DRF)

Für diesen Perspektivwechsel braucht es Schritte wie die Einbeziehung der Rechte von Menschen mit Behinderungen in strategische Ziele und Führungsstrukturen. Förderer müssen erkennen, wo sie selbst Barrieren errichten – etwa durch komplizierte Antragsverfahren. „Sind die Fördermaterialien in mehreren Sprachen und Formaten verfügbar? Ist das Verfahren für Menschen, die Bildschirmlesegeräte benutzen, zugänglich? Schließen wir ungewollt Organisationen aus marginalisierten Gemeinschaften aus? Das sind die Fragen, die sich Förderer stellen müssen“, betont Tataryn.

Die Robert Bosch Stiftung hat sich mit Unterstützung des DRF mit diesem Thema befasst und für ihre Ausschreibung „Building Power for Economic Justice“ erstmals Antragsrichtlinien in mehreren Sprachen einschließlich leichter deutscher Sprache angeboten. „Wenn ein Geldgeber wie die Robert Bosch Stiftung anderen sagt: 'Seht her, das war nicht schwierig, und es hat zu einer besseren Programmgestaltung geführt', dann passiert ein echter Wandel“, erläutert Myroslava.

Für den DRF beinhaltet eine gerechte Zukunft, dass die Mittel auch die am stärksten marginalisierten Stimmen innerhalb der Behindertenbewegung erreichen. Ungleichgewichte von Macht und Einfluß gibt es auch in der Behindertenbewegung, genau wie in der Gesellschaft insgesamt, sagt Tataryn. Der Finanzierungsansatz von DRF berücksichtigt dies und stellt sicher, dass Menschen etwa mit geistigen Behinderungen einbezogen werden. 
 

Erfolgsgeschichten nachhaltiger Veränderung

Das wegweisende Gesetz Indonesiens gegen geschlechtsspezifische Gewalt, das 2022 nach jahrelangem Einsatz von Frauen mit Behinderung und feministischen Verbündeten verabschiedet wurde, ist ein herausragendes  Beispiel für die Unterstützung durch den DRF. Es ist das erste Gesetz des Landes, das behinderten Opfern und Zeugen die gleiche Aussagefähigkeit zuerkennt wie nicht behinderten Menschen und ihnen das Recht auf Barrierefreiheit garantiert. In Malawi trug die Unterstützung des DRF in der Interessenvertretung maßgeblich mit zur Umsetzung einer nationalen Politik für inklusive Bildung bei.

„Lange Zeit gab es in Malawi keine inklusive Bildungspolitik. Doch nach jahrelanger Arbeit des DRF wurde sie schließlich unter maßgeblicher Beteiligung der Orrganisationen von Menschen mit Behinderungen entwickelt.“

Zitat vonChrissy Zimba, Programmmanagerin des DRF in Malawi

Zukunftsstrategien und geografische Expansion

Der DRF richtet seinen Blick auch in die Zukunft: Sein 5-Jahres-Strategieplan konzentriert sich auf vier zentrale Säulen – vom Stärken der Behindertenbewegungen über kollektives Lernen bis zur Schaffung inklusiver Räume und zur Stärkung der Organisation. Damit setzt der DRF nicht nur auf finanzielle Unterstützung, sondern auch auf den Austausch und die aktive Mitwirkung aller Beteiligten. Ab 2025 will der DRF auch Organisationen in weiteren Ländern südlich der Sahara, Süd- und Südostasien sowie den pazifischen Inselstaaten unterstützen. Dabei erhalten Querschnittsthemen wie Geschlechtergerechtigkeit, Klimagerechtigkeit, Jugendrechte und LGBTQI+-Rechte Priorität.

Eine neue Sichtweise auf Behinderung

Letztlich geht es aber nicht nur um veränderte Finanzierungspraktiken, sondern auch um ein neues Verständnis von Behinderung. Sie darf nicht länger als isoliertes Thema angesehen werden, sondern muss als integraler Bestandteil von Bildung, Gesundheit sowie wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Gerechtigkeit betrachtet werden. Wenn mehr Geldgeber diese Zusammenhänge erkennen, kann Philanthropie wirklich inklusiv werden. „Wenn Sie unsere Website besuchen, finden Sie dort viele Erfolgsgeschichten“, sagt Myroslava. „Wir bitten die Menschen nicht, den DRF zu unterstützen, weil Menschen mit Behinderungen 'leiden'. Wir unterstützen Organisationen wegen der positiven Veränderungen, die sie in der Welt bewirken.“
 

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