Kaum war das Assad-Regime gestürzt, begann in der deutschen Politik eine Debatte über die Rückkehr syrischer Geflüchteter. Statt populistischer Rückkehrdebatten sollten wir eine konstruktive Zukunftsvision entwickeln, fordert unsere Migrationsexpertin Raphaela Schweiger – und skizziert, wie diese aussehen könnte.
Die Bilder von jubelnden Menschen in Syrien und in deutschen Innenstädten sind eindrücklich. Der Sturz des Regimes weckt bei vielen Syrer:innen die berechtigte Hoffnung auf einen Neuanfang. Zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt scheint in ihrem Heimatland eine bessere Zukunft denkbar. Doch wie dieses Kapitel aussehen wird, ist völlig offen. Der Krieg hat tiefe Wunden hinterlassen. Der Wiederaufbau wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Politische Stabilität, die Aufarbeitung der Verbrechen und wirtschaftliche Perspektiven – all das ist ungewiss.
Trotz dieser Unsicherheiten wurden hierzulande sofort Rückkehrpläne diskutiert: von Startergeld und Charterflügen bis hin zu einer Rückkehr-Konferenz. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge setzte die Prüfung neuer Asylanträge aus – ein Signal, das viele Syrer:innen verunsichert. Diese Debatte spiegelt weniger die Realität vor Ort wider als vielmehr innenpolitisches Kalkül. Der Wahlkampf hat begonnen, und das Thema wird instrumentalisiert, um Stärke zu demonstrieren. Dabei wird übersehen, wie viel bereits erreicht wurde – und wie viel Schaden diese Diskussion anrichten kann.
Deutschland beheimatet heute die größte syrische Community in Europa. Hinter den Statistiken stehen fast eine Million Menschen, die seit 2015 Schutz gefunden haben. Zahlenmäßig größer ist die syrische Geflüchtetengemeinschaft nur in der Türkei mit 3,1 Millionen Geflüchteten und im von Krisen gebeutelten Libanon. Auch andere Länder wie der Jordanien oder der Irak haben Hunderttausende aufgenommen.
Heute leben rund 972.000 Syrer:innen in Deutschland. 210.000 von ihnen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 250.000 Kinder besuchen deutsche Schulen, und 160.000 haben bereits die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Diese Zahlen zeigen nicht nur erfolgreiche Integration, sondern auch enormes Potenzial: Die syrische Community leistet einen wichtigen Beitrag zur deutschen Gesellschaft und könnte zugleich eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau Syriens spielen. Viele Syrer:innen haben Netzwerke aufgebaut und Fähigkeiten erworben, die für den Wiederaufbau ihres Heimatlandes essenziell sind.
Der Mediendienst Integration, der von uns gefördert wird, veröffentlicht regelmäßig Dossiers und Expertisen rund um Migration und Integration – auch zu syrischen Geflüchteten in Deutschland.
Rückkehr sollte nicht als ein endgültiger Schritt verstanden werden. Viele Syrer:innen sehen Deutschland als ihre neue Heimat, könnten jedoch – wenn sich die Lage in Syrien stabilisiert – zwischen beiden Ländern pendeln. Sie könnten Wirtschaftsbeziehungen aufbauen, Syrien besuchen und später wieder zurückkehren. Solche Brücken können kulturelle und wirtschaftliche Verbindungen schaffen.
Das Konzept der sogenannten zirkulären Mobilität bietet neue Chancen: Menschen, die sich sicher fühlen, können in ihre Heimat investieren, ohne ihre Bindungen zu Deutschland zu verlieren. Beispiele aus anderen Kontexten, wie der Arbeitsmigration, zeigen, dass solche Modelle funktionieren. Sie fördern Austausch, Wachstum und Stabilität – sowohl für das Herkunfts- als auch für das Aufnahmeland. Syrer:innen in Deutschland könnten von diesen Möglichkeiten profitieren und zu Brückenbauern zwischen den beiden Ländern werden.
Die Rückkehr von Geflüchteten ist asylrechtlich hochkomplex und außenpolitisch sensibel. Sie verlangt eine langfristige, realistische und durchdachte Strategie. Forderungen nach Rückkehr ohne klare Perspektiven gefährden nicht nur die Sicherheit der Betroffenen, sondern auch das Vertrauen in die Politik. Solche Debatten dürfen nicht von populistischen Motiven dominiert werden.
Deutschland hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass es Schutz bieten und Integrationsprozesse erfolgreich gestalten kann. Jetzt hat das Land die Chance, nicht nur ein Zufluchtsort, sondern auch ein globales Vorbild für Weitsicht, Respekt und Solidarität zu sein – nicht nur für Syrien, sondern für die ganze Welt.
Dazu braucht es Mut, eine langfristige Perspektive und den Willen, über Wahlkämpfe hinauszudenken. Die in Deutschland lebenden Menschen aus Syrien weiter zu stärken und ihre gesellschaftliche Teilhabe zu fördern, ist von zentraler Bedeutung. Rückkehr darf in dieser Situation nur eine Option sein, wenn sie sicher, freiwillig und nachhaltig ist.
Statt populistischer Rückkehrdebatten sollten wir eine konstruktive Zukunftsvision entwickeln – mit klugen Konzepten für zirkuläre Mobilität, Wiederaufbau und den Aufbau von Brücken zwischen den Menschen in Deutschland und Syrien. So kann Deutschland seiner Verantwortung gerecht werden und ein verlässlicher Partner für die Region bleiben.