In aufgeheizten Debatten ist es wichtig, sich auf sachliche Argumente zu besinnen. Deshalb nehmen wir fünf gängige Vorurteile zum Thema Integration unter die Lupe – und zeigen anhand von wissenschaftlichen Expertisen unseres Projektpartners Mediendienst Integration, wie die Fakten dazu aussehen.
Richtig ist: Der Weg in den Job ist für geflüchtete Menschen oft steinig. Asylsuchende zum Beispiel dürfen sich frühestens drei Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland um einen Job bewerben – und das auch nur, wenn sie dann nicht mehr verpflichtet sind, in einer Asylunterkunft zu leben. Zunächst sind fehlende Sprachkenntnisse oder Berufsabschlüsse eine hohe Barriere. Außerdem werden Abschlüsse aus dem Ausland in Deutschland häufig nicht anerkannt. Auf dem Arbeitsmarkt selbst müssen Migrant:innen häufig mit Diskriminierung rechnen. Studien zeigen beispielsweise, dass Menschen mit Migrationshintergrund und Muslim:innen seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden.
Dazu kommt, dass die Asylpolitik in Deutschland größeren Wert auf Maßnahmen wie Integrationskurse legt als auf eine schnelle Vermittlung in den Arbeitsmarkt. Die Zahl der Menschen, die einen Integrationskurs besuchen, ist hoch: 2023 waren es rund 360.000. Langfristig zahlt sich diese Strategie jedoch aus, und hier kommen wir zum Kern des Themas: Die Arbeitslosenquote unter Geflüchteten in Deutschland geht seit 2017 zurück. Laut Mediendienst Integration haben heute rund achteinhalb Mal so viele Menschen aus Asylherkunftsländern einen sozialversicherungspflichtigen Job wie noch vor zehn Jahren. Rund zwei Drittel derjenigen, die 2015 nach Deutschland kamen, haben inzwischen eine Anstellung. Übrigens finden auch immer mehr Geflüchtete aus der Ukraine einen Job: Laut Bundesagentur für Arbeit lag die Beschäftigungsquote im September 2024 bei 29,4 Prozent. Im Herbst 2022 waren es im Vergleich dazu noch 19 Prozent.
Ausländische Staatsbürger:innen tauchen in der bundesweiten polizeilichen Kriminalstatistik überdurchschnittlich häufig auf. 2023 machte diese Gruppe 41,1 Prozent aller Tatverdächtigen aus, in der Gesamtbevölkerung liegt der Ausländeranteil hingegen bei 15 Prozent. Aber man muss genauer hinschauen, denn die Kriminalstatistik hat so ihre Tücken: Als Ausländer:innen werden hier zum Beispiel auch Menschen gezählt, die zwar in Deutschland straffällig werden, aber nicht in der Bundesrepublik wohnen – zum Beispiel Tourist:innen. Zudem zählen Straftaten zur Statistik, die überhaupt nur Migrant:innen begehen können, etwa eine illegale Einreise.
In der Statistik gibt es noch weitere Verzerrungen. So weist Kriminologin Gina Wollinger im Gespräch mit dem Mediendienst Integration darauf hin: „Studien haben gezeigt, dass Personen, die als ‚fremd‘ wahrgenommen werden, häufiger angezeigt werden als Personen, die als ‚deutsch‘ wahrgenommen werden.“ Dass die Zahl ausländischer Straftäter:innen vergleichsweise hoch ist, hat Kriminolog:innen zufolge wenig mit der Nationalität zu tun: Vor allem schwierige Lebensumstände erhöhten die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch straffällig werde. Und mit solchen Umständen – zum Beispiel einem hohen Armutsrisiko oder Gewalterfahrungen im Herkunftsland – sind besonders häufig Migrant:innen konfrontiert.
Das Schreckensbild ist einprägsam: Immer wieder wird die Erzählung von arabisch-türkischen Großfamilien laut, die in mafiaartigen Strukturen eine Parallelgesellschaft der Gewalt leben. Doch mit der Realität hat dieses Bild wenig zu tun. Zum einen machen Straftaten, die unter den Begriff „Clankriminalität“ fallen, in den Kriminalstatistiken der Bundesländer nur einen verschwindend geringen Anteil aus. In Berlin waren es laut des Berichts „Lagebild Clankriminalität“ 2022 zum Beispiel 0,17 Prozent. Zum anderen wird Clankriminalität oft mit organisierter Kriminalität gleichgesetzt – das könnte einer der Gründe dafür sein, warum Medien sie immer wieder als vergleichsweise hohes Sicherheitsrisiko einstufen. Doch der Unterschied ist erheblich: Während sich im organisierten Verbrechen mehrere Personen über eine längere Zeit zusammentun, um Straftaten von erheblicher Bedeutung zu begehen, zählen als „Clankriminalität“ alle möglichen Verstöße von Menschen, die einer als „Clan“ markierten ethnischen Großfamilie angehören – egal, wie schwerwiegend sie sind.
Expert:innen warnen auch davor, Familienstrukturen zu pauschalisieren: In einer Expertise für den Mediendienst Integration untersucht Mahmoud Jaraba von der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen zum Beispiel deren Struktur und kommt zu einem deutlichen Schluss: „Die große Mehrheit der Angehörigen der Familien lehnt Kriminalität ab und wünscht sich eine gezielte und effektive Kriminalitätsbekämpfung. Muslimische Menschen und Angehörige der Großfamilien sollten nicht unter Generalverdacht gestellt werden.“
Der Autor dieser Expertise des Mediendienst Integration, Dr. Mahmoud Jaraba forscht seit 2015 zu arabischen, türkischen und kurdischen Großfamilien – oft als „Clans“ oder „Mhallamiye“ bezeichnet – in Deutschland. Bei seiner Feldforschung hat er über Jahre hinweg den Alltag von Angehörigen der Familien begleitet und mehrere Hundert Interviews mit ihnen sowie mit Vertreter:innen von Polizei, Behörden und Sozialarbeit geführt.
Für 71 Prozent der Kommunen in Deutschland ist die Unterbringung geflüchteter Menschen herausfordernd, aber machbar. Das hat eine Umfrage der Universität Hildesheim und des Mediendiensts Integration im Frühjahr 2024 ergeben. Daraus geht auch hervor, dass sich die Lage deutlich verbessert hat: Im Herbst 2023 gaben rund 40 Prozent der Kommunen an, sie befänden sich „im Notfallmodus“. Bis Mai 2024 sank der Anteil der stark überlasteten Kommunen auf 23 Prozent.
In ihrer Expertise für den Mediendienst Integration erklären die Wissenschaftler:innen Boris Kühn und Franziska Ziegler von der Migration Policy Research Group der Universität Hildesheim, woran das liegt: „Manchen Kommunen ist es gelungen, in der Zwischenzeit die Unterbringungskapazitäten deutlich auszubauen; teilweise wurde auch angemerkt, dass die Zuweisungen Geflüchteter geringer ausfielen als erwartet. Einige wenige gaben des Weiteren an, dass sie in der Zwischenzeit ihre strategische Aufstellung verbessern konnten, beispielsweise durch eine angepasste Unterbringungsstrategie oder verbesserte Absprachen mit übergeordneten Behörden“. Viele Kommunen begriffen die Unterbringung Geflüchteter immer mehr als Daueraufgabe und hätten zusätzliche Kapazitäten aufgebaut.
Die Aufnahme, Unterbringung und Integration geflüchteter Menschen in Kommunen ist ein immer wieder diskutiertes Thema. „Aktuell prägt ein Überforderungsdiskurs politische Entscheidungen und Debatten, der von einer differenzierten Lagebetrachtung teilweise entkoppelt ist“, schreiben die Autor:innen dieser Expertise des Mediendienst Integration. Sie geben Einblicke in die Lage vor Ort und machen neueste Entwicklungen sichtbar.
Laut Kinder- und Jugendhilfestatistik von 2022 unterhalten sich rund 21 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland vorrangig in einer anderen Sprache als deutsch mit ihren Familien. In Hamburg gab sogar über die Hälfte der befragten Eltern mit Migrationsgeschichte an, zuhause mehrere Sprachen zu sprechen. Doch hindert das junge Menschen daran, deutsch zu lernen? Die Antwort hat zwei Seiten: Zum einen zeigen Studien, dass Kinder durch Mehrsprachigkeit nicht etwa überfordert sind, sondern im Gegenteil kognitiv leistungs- und anpassungsfähiger werden. Laut mehrerer Studien, die der Mediendienst Integration zitiert, sind sie mental flexibler und passen sich gut an die Mehrsprachigkeit an.
Dennoch sind sie nicht automatisch erfolgreicher in der Schule. Der Grund: die Struktur des deutschen Bildungssystems. Eine Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt zum Beispiel, dass Kinder seltener das Gymnasium besuchen, wenn ihre Eltern nur geringe Deutschkenntnisse haben. Das Bildungssystem fängt diese Unterschiede bisher also nicht adäquat auf. Ein positives Zeichen: Die Kultusministerkonferenz erkennt Mehrsprachigkeit 2022 offiziell als Ressource an, die stärker gefördert werden soll – zum Beispiel, indem Lehrkräfte besser ausgebildet werden oder mehrsprachige Kinder ihre „starke“ Sprache zum Recherchieren verwenden dürfen.